Ende des Elternunterhaltes? Nicht für alle! Elternunterhalt als Privileg für Begüterte?
Nach der Vorstellung der großen Koalition soll mit Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes zum 01.01.2020 eine wesentliche Entlastung von der Sorge, Elternunterhalt zahlen zu müssen vorgenommen werden. Soweit, so gut. Wie häufig bei Gesetzen steckt aber der Teufel im Detail. Zum Einstieg ein kurzer Text aus der neuen Braunschweiger Zeitung vom 25 April 2020 zu diesem Thema, verfasst von Fachanwalt für Familienrecht und Erbrecht Jürgen Wabbel aus Braunschweig.
Zum 01.01.2020 trat das sogenannte Angehörigen-Entlastungsgesetz in Kraft. Darin ist vorgesehen, dass nur noch von Kindern, deren Jahreseinkommen über 100.000 € brutto liegt von den Sozialämtern Unterhalt gefordert werden kann. Zur Klarstellung: Wenn die Eltern direkt von ihren Kindern Unterhalt fordern greift diese Regelung im Normalfall nicht. Nur falls die Eltern sich z.B. in einem Pflegeheim befinden und Sozialhilfe beziehen ist die Möglichkeit gegeben, dass der Träger der Sozialhilfe Rückgriff bei den unterhaltspflichtigen Kindern nehmen kann. Hier greift die Sperre von 100.000 €. Dabei kommt es nur auf das Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes an und nicht auf das Einkommen des Ehepartners. Auch das Vermögen des Kindes spielt für die Frage des Forderungsübergangs auf den Träger der Sozialhilfe keine Rolle. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei höheren Einkommen in die Berechnung sowohl das Einkommen des Ehepartners als auch im Einzelfall das vorhandene Vermögen einbezogen werden können. Weiterhin enthält das Gesetz die Vermutung, dass Kinder unter 100.000 € verdienen. Daraus folgt, dass die Ämter nur dann Auskunft über das Einkommen verlangen dürfen, wenn sie darlegen können, dass es besondere Anhaltspunkte für das hohe Einkommen gibt. Für die Fälle, in denen bereits Unterhalt gezahlt wird gilt folgendes: Wenn keine gerichtliche Entscheidung den Zahlungen zugrunde liegt entfällt automatisch die Verpflichtung ab dem 01.01.2020 und Zahlungen können sofort eingestellt werden. Wenn eine vollstreckbare Grundlage (Beschluss eines Familiengerichts oder gerichtlicher Vergleich) vorliegen sollte, muss der Träger der Sozialhilfe aufgefordert werden, auf die Rechte aus dem gerichtlichen Titel zu verzichten und die vollstreckbare Ausfertigung herauszugeben. Sonst besteht die Gefahr, dass die Verpflichtungen weiterlaufen. Lässt sich das Sozialamt nicht auf eine Änderung ein, so muss der Unterhaltspflichtige aktiv werden und gerichtlich die Abänderung des bestehenden Titels beantragen. Da der Gesetzgeber bisher nur die sozialrechtliche Seite geregelt hat, ist noch vieles unklar, z.B. die Höhe des Freibetrages (Selbstbehaltes). Der derzeitige Selbstbehalt von 2000 € dürfte zu gering. Der Selbstbehalt ergibt sich aus den Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte, von denen die bekanntesten Leitlinien die sogenannte „Düsseldorfer Tabelle“ ist. Bis zum 31.12.2019 durfte Einkommen bis zu einer Grenze von 1800 € für einen Single und 3240 € für ein Ehepaar nicht für Elternunterhalt in Anspruch genommen werden. Zusätzlich blieb die Hälfte des darüber hinausgehenden Betrages unangetastet; bei Ehepaaren waren es 45 %. Diese Beträge wurden von den Oberlandesgerichten vor Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes fortgeschrieben und jetzt auf 2000 € für Singles und 3600 € für Ehepartner angehoben, zumindest im Durchschnitt der meisten Oberlandesgerichte. Es gibt regionale Abweichungen, z.B. für Süddeutschland und in einigen anderen Oberlandesgerichtsbezirken. Ihr Fachanwalt für Familienrecht ist mit den jeweils geltenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien vertraut und kann Sie entsprechend beraten.
Aus meiner Sicht sind diese Beträge jedoch deutlich zu gering und werden zu Ungerechtigkeiten in der Behandlung führen müssen, welche aus rechtsstaatlichen Gründen nicht akzeptabel sein können. Dies zeigt das nachstehende Beispiel:
Der 79-jährige Vater muss in ein Pflegeheim und es entstehen Kosten von rund 3200,00 €, von denen lediglich 1500,00 € durch Rente und Pflegegeld gedeckt werden. Das Sozialamt trägt den Rest und schreibt die beiden Kinder, nämlich den Sohn S und die Tochter T an, weil der Vater in seinem Sozialhilfeantrag angegeben hatte, sein Sohn sei in gehobener Position bei der V-AG beschäftigt und „verdiene gut“. Auch auf seine Tochter ist er sehr stolz, denn sie hat bei der V-Financial Services Karriere gemacht und leitete dort eine Abteilung. Die Behörde nimmt dies zum Anlass, beide Kinder anzuschreiben und ihnen einen ausführlichen Fragebogen zuzusenden mit der Aufforderung, diesen auszufüllen und Angaben zu Einkommen und Vermögen zu machen, sowohl des eigenen, als auch zu Einkommens-und Vermögensverhältnissen des Ehepartners. Der Sohn ist Single, hat keine Kinder und hat ein Jahresbruttoeinkommen von 99.900,00 €. Die ebenfalls kinderlose Tochter hat einen Lebenspartner, mit dem sie nicht verheiratet ist und auch nicht ständig zusammen wohnt. Ihr Einkommen beträgt 100.100 € jährlich brutto. Auf der Basis der Berechnungsgrundlagen mit den Freibeträgen aus den derzeit geltenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien ergäbe sich folgende überschlägige Berechnung:
Sohn S: Der Sohn liegt mit seinem Bruttoeinkommen, welches einem Nettoeinkommen von rund 4500 € monatlich entspricht unterhalb des Betrages, bei dem die Sozialbehörde Elternunterhalt geltend machen darf und muss daher nichts zahlen.
Tochter T: Die Tochter liegt bei einem Nettoeinkommen von 4511 € monatlich und hat damit geringfügig mehr zur Verfügung als ihr Bruder. Bei ihr sieht indessen die Berechnung – vereinfacht -so aus:
Nettoeinkommen | 4511 € |
Selbstbehalt | 2000 € |
Verbleibendes Einkommen | 2511 € |
davon 50 % für Elternunterhalt | 1225,50 € |
Eine Zahlungsverpflichtung mit einem Unterschied zwischen den Geschwistern von 1225,50 € bei einer Netto-Einkommensdifferenz von elf Euro monatlich wird für niemanden nachvollziehbar sein. Aus diesem Grunde kann die derzeitige Berechnungsgrundlage nicht richtig sein. Rechtsprechung und Gesetzgebung werden hier kurzfristig korrigierend eingreifen müssen.
Wir werden uns daher in künftigen Verfahren auf Elternunterhalt dafür einsetzen, dass der Freibetrag (Selbstbehalt) für einen Alleinstehenden auf mindestens 5.500 € angehoben wird und für Ehepaare auf 9.900,00 €. Hierzu gibt es mehrere Ansätze in Literatur und Rechtsprechung, mit denen sich dies begründen lässt. Aktuelle Entscheidungen hierzu werden aber auf sich warten lassen müssen. Aus unserer Sicht ist es aber geboten, schon frühzeitig, nämlich bereits bei der Korrespondenz mit der Sozialbehörde, diesen Standpunkt einzunehmen. Wer sich zu früh auf Zahlungen einlässt kann erhebliche Nachteile erleiden, wie das vorstehende Beispiel zeigt. Nach der hier vertretenen Ansicht wäre damit auch die Tochter nicht verpflichtet, Zahlungen zu leisten.
Das Beispiel ist natürlich vereinfacht. In der Praxis gibt es noch an sehr vielen anderen Positionen „Stellschrauben“, die bei richtiger Handhabung zu einer erheblichen Reduzierung der Belastung durch Elternunterhalt führen können. Die Frage: „Elternunterhalt-wie viel muss ich zahlen?“ ist nicht generell zu beantworten, sondern benötigt immer eine genaue Analyse der individuellen Lebenssituation. Nach wie vor gilt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:Elternunterhalt Erste Hilfe- Checkliste
Niemand muss zur Finanzierung des Elternunterhaltes eine spürbare und dauerhafte Senkung seiner Lebensverhältnisse hinnehmen, es sei denn, er lebt im Luxus.
(BGH v. 23.10.02 , XII ZR 266/99)
An dieser Grundsatzentscheidung ändert sich auch nichts durch das Angehörigen-Entlastungsgesetz und die „Luxus-Diskussion“ darf nicht überproportional und ohne Augenmaß verlagert werden, nur weil jemand sich über ein höheres Einkommen einen höheren Lebensstandard geschaffen hat.
Der Artikel endet mit dem Hinweis:
Betroffene sollten sich rechtzeitig über vorbeugende Maßnahmen Gedanken machen.
Daher nachstehend als kleiner Service zum kostenfreien Download unsere Elternunterhalt Erste Hilfe- Checkliste zum Thema: Elternunterhalt – was tun, wenn Post vom Sozialamt kommt?